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Einführung in die Systemtheorie nach Niklas Luhmann
1)
Allgemeine Systemtheorie
2)
Differenz
3) Soziale Systeme
4) Menschen
1) Allgemeine
Systemtheorie
Die allgemeine Theorie sozialer Systeme stellt
den Sozialwissenschaften einen universalen Forschungsansatz zur Verfügung.
Eine besondere Berücksichtigung erhält dabei die (selbst im
Alltag erfahrbare) zunehmende Komplexität sozialer Phänomene,
insbesondere der Gesellschaftsbeschreibungen.
Die Universalität der Theorie erfordert universelle, auf einander
bezogene und eindeutig definierte Begriffe. Und hier liegt das Verständnisproblem:
Ohne Akzeptanz der in der Systemtheorie verwendeten Bedeutung
dieser Begriffe ist kein Verstehen möglich. Wenig
Sinn hat daher auch eine Kritik der Systemtheorie mit Begriffsbedeutungen
einer anderen Theorie (und umgekehrt). Die Entwicklung der soziologischen
Systemtheorie könnte man mit Helmut Willke (Willke, Helmut
(1991): Systemtheorie; Stuttgart, New York; 3. Auflage, S. 3 ff.) in fünf
Stufen einteilen:
1) Die strukturell-funktionale Systemtheorie des frühen
Talcott Parsons, nach der soziale Systeme über bestimmte Strukturen
verfügen, aus denen zum Systemerhalt bestimmte funktionale Leistungen
durch das System erbracht werden müssen.
2) Der system-funktionale Ansatz verweist auf die Fähigkeit
komplexer Systeme zu eigenen Strukturänderungen, wenn dies durch
veränderte Umweltbedingungen notwendig wird.
3) Der funktional-strukturelle Ansatz des frühen
Luhmann geht noch einen Schritt weiter und fragt zunächst nach der
Funktion von Systemen und dann erst nach der dafür notwendigen Struktur.
Da sich eine Systemfunktion erst aus der Beziehung des Systems zu seiner
Umwelt ergibt, ist dieser Ansatz primär eine System-Umwelt-Analyse.
Die Umwelt bekommt damit nicht nur Einfluss auf die Struktur eines Systems,
sondern erstmals auch auf die Systembildung selbst. Aus Sicht des Systems
gilt es, die Komplexität der Umwelt auf angemessene Weise (mit Blick
auf eigene Stabilität) verarbeiten zu können.
4) Mit dem funktional-genetischen Ansatz wird die Evolution
von Systemen, also der Zeitfaktor von Stabilisierung und Funktionserfüllung,
in den Vordergrund gerückt.
5) Der Ansatz selbstreferentieller Systeme schließlich
(Luhmann ab etwa 1984) übernimmt das Autopoiesis-Konzept
aus der Biologie (Maturana, Varela) und überträgt es auf soziale
Systeme.
Dies ist die eigentliche Leistung von Niklas Luhmann zur Weiterentwicklung
der soziologischen Systemtheorie.
2)
Differenz
Ein erster Zugang zur Systemtheorie nach
Niklas Luhmann ergibt sich aus der Unterscheidung eines Unterschieds,
was einen Unterschied macht.
Zerlegen wir den Satz: Die Unterscheidung (Fokus der Beobachtung darauf
und nicht auf etwas anderes) eines Unterschieds (Ergebnis der Beobachtung:
das Beobachtete ist etwas anderes als das, was man auch beobachten könnte)
macht einen Unterschied (mit dem Ergebnis der Beobachtung könnte man
weitere, neue Beobachtungen anstellen).
Beispiel: Wer bestimmte Früchte betrachtet (wobei wir davon ausgehen,
dass man zuvor bereits anderes beobachtet hat und Früchte von allem
anderen unterscheiden kann) könnte einen Unterschied zwischen diesen
und jenen Früchten feststellen (ob man dies hinsichtlich Farbe, Form,
Geschmack, Ertrag, Vorkommen usw. unterscheidet ist bereits wieder eine
Unterscheidung). Hinsichtlich der Form könnte man nun unter gegebenen
Bedingungen Äpfel von allen anderen Früchten unterscheiden oder
Birnen von allen anderen. Oder diesen einen, besonders schönen Apfel
von allen anderen. Oder aber: Dieses System von allem anderen
und dieses andere nennen wir Umwelt. Für ein lebendes
System, wie zum Beispiel einen Baum, ist das leicht einsehbar: Wiese, andere
Bäume, Regen und Luft gehören klar zur Umwelt dieses Systems und
dies entspricht auch unserer nicht-systemtheoretischen Vorstellung. Was
passiert jedoch, wenn wir den Begriff System auf soziale Phänomene
anwenden?
3)
Soziale Systeme
Niklas Luhmann behauptet, dass sich soziale
Systeme durch Kommunikationen bilden, wobei eine beobachtbare
Spezifik von Kommunikationen spezifische Systeme strukturieren. Damit
ist nicht die Unterscheidung Fremd- und Muttersprache gemeint, sondern
eine besondere Art von "Sprache".
So kann man durchaus schon im Alltag feststellen, dass das Wirtschaftssystem
anders kommunizieren muss, als etwa das System der Liebe:
Während sich Liebende gegenseitig ihre intimen Gefühle mitteilen
und vom anderen zurecht erwarten, dass dieser daran interessiert ist,
dürfte eine solche „Gefühlsduselei“ und „Egotherapie“
im Geschäftsleben eher hinderlich sein. Vielleicht gelingt es ja
auf dem Markt hin und wieder, einen dortigen Händler mit einer sehr
persönlichen Lebensgeschichte zum Schenken der Ware zu überreden
– nur bedeutet das für den Händler auf Dauer den Ruin.
So wie Liebe und Wirtschaftssystem über eine „eigene Sprache“
verfügen unterscheidet Luhmann weitere soziale Systeme: das Politische
System, das Gesundheitssystem, das Kunstsystem, das Rechtssystem, das
Wissenschaftssystem, das Erziehungssystem.. Allen gemeinsam ist, dass
sie für die Gesellschaft (die Gesamtheit aller Kommunikationen)
eine spezifische Funktion übernehmen: So sichert
das Wirtschaftssystem die Sicherstellung künftiger Versorgung unter
Bedingungen der Knappheit und bedient sich dazu der „Sprache“
des Eigentums oder (seit einer ausdifferenzierten Geldwirtschaft) des
Geldes. Zwar könnte im Prinzip auch das politische System künftige
Versorgung sichern (per Dekret), nur aus Erfahrung ist bekannt, dass dies
nicht gerade optimal funktioniert.
Im Grunde ist dem politischen System („Sprache“:
Macht) die künftige Versorgung auch vollkomen egal – wenn davon
nicht Wahlerfolge abhängen würden. Umgekehrt ist dem Wirtschaftssystem
die Umweltverschmutzung gleichgültig - wenn davon z.B. die Preise
von bestimmten Waren nicht betroffen sind.
Interessant wird es jedoch, wenn genau dies passiert, etwa wenn ein Tourismusunternehmen
aufgrund von Umweltverschmutzung in der Ferienregion Einbußen erleidet.
Sofern man dies mit Geld bewerten und reparieren kann, wird sich das Unternehmen
daran vermutlich beteiligen – wenn es sich rechnet. Und wenn man
mit einem solchen „Umweltengagement“ Wählerstimmen gewinnen
kann, wird auch das politische System aktiv werden (und, wenn es sich
für das Unternehmen nicht rechnet, Subventionen bereitstellen).
Das sei zynisch? Sind denn moralische Appelle an das „Umweltbewusstsein“
(genauer: an andere Wähler und andere Konsumenten) etwas anderes?Aber
was genau ist eigentlich ein solches Funktionssystem,
woraus besteht es?
Nach Luhmann bestehen soziale Systeme aus Kommunikationen, das Wirtschaftssystem
also aus Geldkommunikationen. Nicht das Geld selbst (also die Banknoten)
bilden das Wirtschaftssystem, sondern die jeweiligen Zahlungen (und auch
die Nicht-Zahlungen). Zahlungen und Nicht-Zahlungen sind die kommunikativen
Operationen des Wirtschaftssystems.
Damit dies erfolgen kann, ist das Wirtschaftssystem natürlich auf
Organisationen angewiesen, etwa auf Unternehmen und eine
Zentralbank und auf Personen, also die Mitarbeiter der Unternehmen und
die Konsumenten. Nur sind Organisationen eigene Systeme (zwar soziale
Systeme, aber keine Funktionssysteme). Das Wirtschaftssystem existiert
also nur im Augenblick einer Zahlung/Nicht-Zahlung, es schrumpft und wächst
dynamisch und ist damit keinesfalls statisch an Gebäuden oder Banknoten
festzumachen. Dies alles gehört zur Umwelt des Wirtschaftssystems.
4)
Systemtheorie und die Menschen
Und wo bleibt der Mensch? In der Systemtheorie
von Niklas Luhmann „verschwindet“ der Mensch als Einheit,
Luhmann selbst bezeichnete seine Theorie absichtsvoll als „antihumanistisch“:
Denn in der Konsequenz und Begrifflichkeit der Systemtheorie wird der Mensch
unterschieden in ein lebendes System (der Körper mit anderen lebenden
Systemen, wie Organe, z.B. das Gehirn, und die Zellen...) und das psychische
System (das Bewußtsein). Beide sind über strukturelle
Kopplung miteinander verbunden und es ist der modernen Medizin
bis heute nicht gelungen diese Kopplung völlig aufzuheben.
Aber natürlich sind die Menschen in der Systemtheorie nicht völlig
„verschwunden“ – wir treffen sie wieder in den sozialen
Systemen als Personen, als konstruierte Identitäten,
als Adressaten von Kommunikation. Von daher sind Personen keine sozialen
Systeme (was man herkömmlich vom „Menschen“ durchaus behauptete),
sondern Kommunikationsadressen, die selbstverständlich über Bedürfnisse,
Individualität und natürlich auch über bestimmte Werte verfügen.
(bei Unklarheiten: einfach eine entsprechende Frage im Forum
stellen oder zur Einführung die Software
ansehen)
Dieser
Text darf für wissenschaftliche Zwecke
frei kopiert und zitiert werden unter folgender Quellenangabe:
Michael Gerth (2005): Kleine Einführung in die Systemtheorie nach
Niklas Luhmann, http://www.luhmann-online.de (1/2006)
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